Edition Zahnarztpraxis
Edition Dentallabor
Edition Zahnarztpraxis mit Dentallabor
Urteil
Was belegt die medizinische Notwendigkeit?
Während es der privaten Krankenversicherung obliegt, einen Nachweis zu erbringen, wenn sie behauptet, das Maß der Notwendigkeit sei überschritten (z. B. eine geringere Anzahl an Implantaten würde ausreichen), muss der Patient als Versicherungsnehmer darlegen und beweisen, dass die medizinische Notwendigkeit dem Grunde nach gegeben ist. Ebenso kann es sein, dass der Zahnarzt in einem Streit über das Honorar nachweisen muss, dass seine berechneten Behandlungsmaßnahmen medizinisch notwendig waren.
Doch was genügt und ist erforderlich, um die medizinische Notwendigkeit der zahnmedizinischen Behandlung nachzuweisen?
- Das Urteil
Bereits mehrere Urteile haben sich mit dieser Fragestellung befasst.
Nachweis durch Rechnung
Zunächst gilt der Grundsatz, dass die Rechnung alle wesentlichen Informationen zur Prüfung enthält und die Rechnung demnach die medizinische Notwendigkeit belegt. Die Rechnung wird entsprechend der Gebührenordnungen GOZ und GOÄ erstellt. Den einzelnen Gebührenpositionen sind Leistungslegenden mit Leistungsbeschreibungen zugeordnet. Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 GOZ dürfen nur solche zahnmedizinischen Leistungen abgerechnet werden, „die nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst für eine zahnmedizinisch notwendige zahnärztliche Versorgung erforderlich sind.“ Weiter heißt es in § 1 Abs. 2 Satz 2 GOZ: „Leistungen, die über das Maß einer zahnmedizinisch notwendigen zahnärztlichen Versorgung hinausgehen, darf er nur berechnen, wenn sie auf Verlangen des Zahlungspflichtigen erbracht worden sind.“ Auch aus diesem Umkehrschluss folgt im Ergebnis, dass nicht als so genannte „Verlangensleistungen“ berechnete Behandlungsmaßnahmen medizinisch notwendig sind.
Das Oberlandesgericht Köln führt in seinem Beschluss vom 23.07.2012 (Az. 5 U 66/12) - zu einer Streitigkeit um das zahnärztliche Honorar - aus:
„… Richtig ist zwar, dass im Streit um die Berechtigung des Honorars für eine (zahn-)ärztliche Leistung Darlegung und Nachweis der medizinischen Notwendigkeit (§ 1 Abs.2 GOZ) grundsätzlich zunächst dem Arzt obliegen. Hierfür genügt aber regelmäßig, dass diese sich aus der nach fachmedizinischem Standard geführten Dokumentation hinreichend ergibt. Das ist vorliegend der Fall. Schon die Tatsache, dass ein Zahnarzt einen entsprechenden Heil- und Kostenplan (insbesondere zur Vorlage bei einem Krankenversicherer und einer Beihilfestelle) erstellt, impliziert die medizinische Notwendigkeit der Maßnahmen. Eine detaillierte Begründung im Rahmen eines solchen Heil- und Kostenplans ist im allgemeinen weder üblich noch rechtlich gefordert. Ferner liegt eine OPG-Aufnahme vor, die den Zustand vor Behandlungsbeginn festgehalten hat. Diese hat der Sachverständige im Rahmen seiner Begutachtung einbezogen und ausdrücklich keine Anhaltspunkte für eine fehlende Indikation festgestellt. Ferner hat der Zedent unter dem 19.9.2008 Eintragungen in die Behandlungsdatei vorgenommen, die eindeutige Hinweise auf eine Erneuerungswürdigkeit der alten Prothese geben („insuffiziente OK-Prothese, Prothese zehn Jahre alt, Patient möchte neue Prothese, Schmerzen, apikal entzündet 22“). Das genügt als ausreichende Dokumentation einer Indikation. Mängel oder Lücken der Dokumentation, die sich nicht an forensischen, sondern allein an medizinischen Bedürfnissen zu orientieren hat, sind nicht erkennbar.“
Stellungnahmen des Behandlers
Nicht selten verlangen private Krankenversicherungen trotz Vorliegens der Rechnung Stellungnahmen der behandelnden Zahnärzte unter Verweis darauf, ohne diese könne die medizinische Notwendigkeit nicht abschließend geprüft werden. Manchmal werden konkrete Fragen wie zum Beispiel der Schnittführung gestellt. Obwohl zunächst eigentlich der Patient der erste Ansprechpartner für Rückfragen der privaten Krankenversicherung ist, wird dieser regelmäßig keine Auskunft erteilen können. In dem Fall ist der Behandler verpflichtet, für den Patienten diese Fragen zu beantworten. Die Verpflichtung stellt sich als Nebenpflicht aus dem Behandlungsvertrag dar.
Unverständlich ist es, wenn pauschale Fragen gemäß Textbausteinen vorgebracht werden oder nach Auskünften gefragt wird, die an sich gar nicht mit der vorgenommen Behandlung im Zusammenhang stehen können. Derartige Fragen müssen – und können – selbstverständlich nicht beantwortet werden.
Herausgabeverlangen bezüglich Dokumentation
Die ordentlich und vollständig geführte Behandlungsdokumentation belegt die medizinische Notwendigkeit. Besonders auf Vollständigkeit und Verständlichkeit ist dabei zu achten.
Zweifelhaft ist, ob die private Krankenversicherung das Recht hat, die Herausgabe der Behandlungsdokumentation zu verlangen. Das kann ausschließlich im begründeten Einzelfall gegeben sein.
Unzweifelhaft ist das allgemeine Recht auf Auskunft seitens der privaten Krankenversicherung in den Versicherungsbedingungen verankert, § 9 Nr. 2 AVB und § 31 VVG. Immer mit zu berücksichtigen ist als verfassungsrechtlich geschütztes Gegengewicht das informationelle Selbstbestimmungsrecht des Patienten. § 213 VVG (Versicherungsvertragsgesetz) zieht die Grenzen dieses Auskunftsrechts, denn danach ist die Erhebung personenbezogener Daten für die Beurteilung der Leistungspflicht nur dann zulässig, wenn die Informationen tatsächlich für die Prüfung erforderlich sind und der Patient einverstanden ist.
Nach der so genannten 3-Stufen-Rechtsprechung ist die Herausgabe der Behandlungsdokumentation die allerletzte Information, welche die private Krankenversicherung herausverlangen kann und ausschließlich dann zulässig, wenn alle anderen – und im Allgemeinen ausreichenden Auskünfte wie Rechnung und gegebenenfalls Stellungnahme des Behandlers – für eine erforderliche Prüfung der medizinischen Notwendigkeit nicht genügen.
Letztlich handelt es sich immer um eine Einzelfallentscheidung. Das Oberlandesgericht München fasst in seinen Entscheidungsgründen zu seinem Urteil vom 06.09.2012 (Az. 14 U 4805) zusammen:
„Der Senat teilt im Ergebnis die in der obergerichtlichen Rechtsprechung insbesondere vom OLG Hamm… vertretene Ansicht, dass es einer Einzelfallbeurteilung bedarf, ob der Eintritt des Versicherungsfalles auch ohne Einsicht in die Krankenakte beurteilt werden kann und dass der Versicherer das Patientenblatt nur bei berechtigtem Interesse verlangen kann.“
Ergänzend muss darauf hingewiesen werden, dass im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung über das zahnärztliche Honorar oder die Erstattungspflicht der privaten Krankenversicherung die Behandlungsdokumentation ausgehändigt werden muss. Hier gelten andere Regeln als gegenüber der privaten Krankenversicherung.
- Kommentar
Der zitierte Fall des Oberlandesgerichts Köln zeigt auf, dass jeweils im konkreten Einzelfall die vorliegenden Nachweise wie Dokumentation, Heil- und Kostenpläne und Rechnungen in Kombination den erforderlichen Nachweis über die medizinische Notwendigkeit ergeben können.
Grundsätzlich gilt zusammengefasst: Die Rechnung belegt die medizinische Notwendigkeit und enthält alle erforderlichen Informationen. Werden dennoch im Einzelfall objektiv weitere Auskünfte benötigt, muss zunächst der Patient gefragt werden. Ist der Patient fachlich nicht in der Lage, die Fragen zu beantworten, dürfen diese an den Zahnarzt gestellt werden. Diese Fragen müssen – so die Rechtsprechung – im Umfang sachlich geboten und nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen sein. Nur wenn selbst diese Auskünfte objektiv nicht genügen, kann partiell Einsicht in die Behandlungsdokumentation gewährt werden.
- Handlungsempfehlung
Diese abgestufte Auskunftspflicht sollte in der Praxis bekannt sein.
Insbesondere die Behandlungsdokumentation sollte ordentlich und vollständig geführt werden, da ihr im Falles eines möglichen Rechtsstreits eine wichtige Bedeutung für die Beweisführung zukommt.Um die Patientenzufriedenheit nachhaltig zu bewahren empfiehlt es sich, den Patienten rechtzeitig für dieses Thema zu sensibilisieren und ihn als Praxis und im Team gemeinsam zu begleiten.