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Urteil
Fristlose Kündigung eines Arbeitnehmers wegen Missbrauchs des Emailkontos des Arbeitsgebers
So kann beispielsweise das Lesen einer offensichtlich an den Chef gerichteten Email sowie das Kopieren und die Weitergabe des Emailanhangs (privater Chatverlauf) an Dritte im Einzelfall eine außerordentliche fristlose Kündigung rechtfertigen, auch wenn eine Zugriffsberechtigung auf das Emailkonto für dienstliche Tätigkeiten vorliegt.
Dies hat das Landesarbeitsgericht Köln kürzlich in zweiter Instanz nach dem Arbeitsgericht Aachen entschieden. Folgender Sachverhalt lag dem Gerichtsverfahren zu Grunde: Die Arbeitnehmerin war in der Verwaltung des Arbeitgebers unter anderem mit der Buchhaltung betraut. Im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit hatte die Arbeitnehmerin Zugriff auf das Emailkonto des Arbeitgebers. Diese Berechtigung war ausschließlich in Bezug auf ihre Aufgaben in Bezug auf ihre berufliche Tätigkeit gegeben und auf diese Inhalte begrenzt. Dennoch las die Arbeitgeberin eine offensichtlich ausschließlich an ihren Arbeitgeber gerichtete Email. Diese kopierte sie samt Anhang auf einen USB-Stick, den sie schließlich sogar an ebenfalls unbefugte Dritte weitergab.
Daraufhin sprach der Arbeitgeber die außerordentliche fristlose Kündigung aus. Diese wollte die Arbeitnehmerin nicht akzeptieren, so dass es zu einem Gerichtsverfahren in erster Instanz vor dem Arbeitsgericht Aachen und in zweiter Instanz vor dem Landesarbeitsgericht Köln kam.
- Das Urteil
Das Landesarbeitsgericht Köln hielt die außerordentliche fristlose Kündigung der Arbeitnehmerin für gerechtfertigt und bestätigte die Reaktion des Arbeitgebers. Der rechtmäßigen Kündigung hätte auch keine Abmahnung vorangehen müssen.
In seinen Entscheidungsgründen führte das Landesarbeitsgericht zu seinem Urteil vom 02.11.2021 (Az. 4 Sa 290/21) aus:
„Die Berufung ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die außer-ordentliche fristlose Kündigung vom 24.09.2020 aufgelöst worden. Die Kündigung ist wirksam.
Die Kündigung der Beklagten vom 24.09.2020 hat das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis aufgelöst, ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB für den Ausspruch der außerordentlichen Kündigung liegt vor, die Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB wurde gewahrt und die Mitarbeitervertretung vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß beteiligt. … Die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ist der Beklagten unzumutbar.Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. … Die Klägerin ist im Rahmen ihrer Tätigkeit berechtigt gewesen, auf das Emailkonto der Beklagten zuzugreifen und Emails mit dem Bezug zu ihren buchhalterischen Aufgaben zu öffnen, zu lesen und weiter zu bearbeiten. … Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, war die Berechtigung auf den zur Erfüllung der arbeits-vertraglichen Aufgaben notwendigen Umfang beschränkt. Dies ergibt sich aus den arbeitsvertraglichen Nebenpflichten gemäß § 241 BGB und aus § 26 Abs. 1 BDSG. Soweit die Klägerin an Herrn C adressierte Emails und seine privaten Emailanhänge geöffnet hat, hat sie das allgemeine Persönlichkeitsrecht von Herrn C, hier in Form des Rechts auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informations-technischer Systeme…, verletzt. Die Klägerin hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung erklärt, dass sie aufgrund des ersten Satzes der von Herrn S an Herrn C adressierten Email neugierig geworden sei und bei weiterem Lesen gedacht habe, "ach du meine Güte, was ist da schon wieder los, was hat Herr S geschrieben." Der Klägerin ist bewusst gewesen, dass die Email weder für sie bestimmt gewesen ist noch diese von ihr für den Kassenschluss gelesen werden musste. Auch beim Lesen der Email mit der Bezeichnung "Chatverlauf Ca " ist für sie und jeden offensichtlich gewesen, dass diese nicht an die Klägerin adressiert worden ist und diese weder für die Buchhaltung noch eine andere arbeitsvertraglich geschuldete Leistung der Klägerin relevant gewesen ist.
Es kann für die rechtliche Bewertung dahinstehen, ob die Klägerin das Emailkonto der Beklagten oder den Dienstcomputer - wie das Arbeitsgericht festgestellt hat - durchsucht hat oder zufällig auf die Emails im Postfach gestoßen ist. Der Klägerin ist zuzustimmen, dass sie in ihrem erstinstanzlichen und zweitinstanzlichen Vortrag stets darauf hingewiesen hat, zufällig auf die Emails während der Erfüllung ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtung gestoßen zu sein. Allerdings begründen bereits das Öffnen und Lesen der Emails den Pflichtenverstoß, völlig unabhängig davon, ob diese gezielt gesucht oder zufällig entdeckt wurden. Selbst wenn das Arbeitsgericht den Vortrag der Parteien fehlerhaft festgestellt haben sollte, ändert sich die Bewertung nicht. Die Klägerin hat Emails geöffnet und gelesen, wozu sie nicht berechtigt gewesen ist. Zudem hat die Klägerin nach eigenem Vortrag die Email von Herrn S an Herrn C ausgedruckt und den Anhang der Email "Chatverlauf Ca " kopiert. Hierdurch hat sie weitere Pflichtenverstöße begangen. Allein das Lesen der Emails, die offensichtlich an einen anderen Empfänger adressiert sind und eindeutig privaten Inhalt haben, mag möglicherweise als solches nicht "an sich" geeignet sein, einen wichtigen Grund darzustellen. Dies mag insbesondere vor dem Hintergrund des eingeräumten Zugriffsrechts gelten. Allerdings hat die Klägerin durch das Ausdrucken und das Kopierern ihre Berechtigung erheblich überschritten. Aus Versehen mag sie den ersten Satz der Email von Herrn S an Herr C gelesen haben, das Öffnen, den Druckbefehl und das Kopieren zu veranlassen, ist bewusst erfolgt. Für den Pflichtverstoß ist es unerheblich, ob die Kopie aus dem Emailkonto oder aus einem Ordner des Dienstcomputers erfolgt ist. Der Vortrag der Parteien spricht dafür, dass die Kopie des Emailanhangs aus dem Emailprogramm erstellt worden ist. Die Pflichtverstöße der Klägerin liegen in dem Ausdruck der Email und der Erstellung der Kopie des Anhangs "Chatverlauf Ca ". Ein Umstand, der "an sich" die Pflichtverstöße rechtfertigen und so den wichtigen Grund ausschließen würde, liegt nicht vor. … Durch die Weitergabe der rechtswidrig erlangten Daten an Frau W hat die Klägerin den vorherigen Verstoß gegen die arbeitsvertragliche Schutz- und Rücksichtnahmepflicht vertieft, das allgemeine Persönlichkeitsrecht von Herrn C und Frau A verletzt und einen weiteren Verstoß durch eine rechtswidrige Datenverarbeitung - nämlich durch das Verbreiten - begangen. Ein "an sich" geeigneter Grund, der eine außerordentliche fristlose Kündigung rechtfertigt, liegt vor. Die Beklagte hat in diesem Fall bei Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes keine Abmahnung oder ordentliche Kündigung aussprechen müssen. Die durchzuführende Interessenabwägung geht zu Lasten der Klägerin aus.“
- Kommentar
Die Urteilsbegründung ist nachvollziehbar und basiert auf einer ausführlichen Interessenabwägung von Arbeitnehmerin und Arbeitgeber. Die konkrete und individuelle Situation wurde bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt. Alleine das Lesen der offensichtlich nur für den Arbeitgeber bestimmte Mails stellten einen Pflichtverstoß der Arbeitnehmerin dar. Mit dem Kopieren und der Weitergabe am ebenfalls unberechtigte Dritte hat die Arbeitnehmerin die Schwere ihres Verstoßes noch einmal deutlich erhöht.
- Handlungsempfehlung
Soweit Arbeitnehmer zur Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben Zugang zu Daten haben könnten, die privat oder aus anderen Gründen nicht für sie bestimmt sind, ist dem Arbeitnehmer diese Grenze deutlich aufzuzeigen und gegebenenfalls sogar in einer schriftlichen Belehrung niederzulegen. Diese sollte vom Arbeitnehmer als Bestätigung seiner Kenntnisnahme unterzeichnet werden.